Eingabehilfen öffnen

Skip to main content

Geschichte des Festivals

Das Gründungsjahr 1971

Im Mai jeden Jahres ist in Dresden ein seltsames Fieber zu bemerken. Wer sich in der Stadt aufhält, wird in Windeseile angesteckt. Sich wehren ist zwecklos. Ärzte müssen nicht konsultiert werden. Jeder kann sich selber heilen. Das Medikament ist simpel und hat sich seit vielen Jahren bewährt. Es trägt den allseits bekannten Namen: Dixieland.

parade01Als das INTERNATIONALE DIXIELAND FESTIVAL in Dresden aus der Taufe gehoben wurde, wusste niemand, welche Entwicklung es nehmen würde. Wer zurückblickt, weiß um die Mühen, um die großen Anstrengungen auf dem Weg, sich zu etablieren. Geholfen haben dabei vor allem die Dresdener, weil sie sich mit ihrem Festival identifiziert haben, es leben, ihm seit über 40 Jahren verbunden sind und sich schon Monate vorher auf jene Tage im Mai freuen, die dem Dixieland, d.h., dem Oldtime-Jazz ganz und gar gehören.

Als 1978 zum ersten Mal während des INTERNATIONALEN DIXIELAND FESTIVALS eine »Street Parade« aller beteiligten Musiker auf dem Programm stand, waren mehr Menschen auf den Beinen, als bei der von der Staatspartei angeordneten Parade am 1. Mai. Jazz war zu einem Massenereignis geworden. Dabei waren viele Zuschauer nicht ausschließlich des Dixieland wegen gekommen, sondern schlicht, um dabei zu sein.

Legendär sind die Schlangen, die sich alljährlich im Frühjahr vor den Vorverkaufskassen des Festivals bildeten. Dort wurden die heiß begehrten Eintrittskarten für die Konzerte verkauft. Bereits einige Tage vor Öffnung der Vorverkaufsstellen kamen die Leute mit Schlafsäcken, Campingliegen und Stühlen und richteten sich vor dem Kulturpalast mehr oder weniger häuslich ein. Rekordverdächtig war das Jahr 1989, als die Ersten bereits vierzehn Tage vor Öffnung der Kassen anrückten. Manche hatten über die Jahre aber auch Wartegemeinschaften gebildet und konnten sich so alle zwölf Stunden abwechseln.

trompeter-harlem-blues-and-jazzEs war ein Phänomen, das mit dem Begriff »Dixie-Fieber« nur unzureichend zu beschreiben ist. Es gab tatsächlich mehrere, auch politische Gründe für die besondere Identifizierung der Dresdner mit 'ihrem' Festival: „Die in Dresden besonders spürbaren wirtschaftlichen Engpässe, kein Westfernsehen im 'Tal der Ahnungslosen', der melodisch unkomplizierte und keineswegs 'Staatlichkeit', sondern 'Freiheit' assoziierende Dixieland. Und nicht zuletzt auch das internationale Flair während des Festivals mit dem Hauch der großen, weiten Welt” benennt es Karlheinz Drechsel, Mitbegründer des Festivals.

Für die Staatssicherheit waren die unorganisierten Menschenansammlungen natürlich das Grauen schlechthin. Sie befürchtete - wie sich später herausstellte grundlos - staatsfeindliche Proteste. Und so galt während des Dixieland-Festivals auch 'erhöhte Alarmbereitschaft'. Doch bereits im Vorfeld hatte man sich sorgfältig mit sämtlichen Details des Festivals beschäftigt.

garde01Ost- und westdeutsche Musiker – getrennt im Hotel und auf der Bühne

1975 trat mit der Old Merry Tale Band aus Hamburg erstmals eine Band aus der Bundesrepublik Deutschland auf – sie erntete frenetischen Beifall. Die Auflagen an die Organisatoren waren dabei - wie in der DDR gemeinhin üblich - ebenso kleinkariert wie pedantisch. Ost- und westdeutsche Musiker waren prinzipiell in unterschiedlichen und möglichst weit voneinander entfernten Hotels untergebracht, um eventuelle mitternächtliche deutsch-deutsche Annäherung an der Hotelbar von vornherein zu unterbinden.
Die Reglementierungen gingen bei der Gestaltung des Spielplans weiter. Unter keinen Umständen durften west- und ostdeutsche Musiker gemeinsam auf der Bühne stehen oder überhaupt miteinander musizieren. Anfänglich hieß es gar noch, dass ost- und westdeutsche Bands nicht nacheinander auftreten dürfen. Dazwischen müsste stets eine Band aus dem sozialistischen Ausland spielen, als Puffer gewissermaßen. Auf keinen Fall durfte eine bundesdeutsche Band am Schluss eines Konzertes auftreten, um sie nicht als 'Krönung des Abends' erscheinen zu lassen.

session-kp-1986Absurde Vorgaben in der Realität wirkungslos

Gehalten hat sich an diese absurden Vorgaben von SED-Kulturbürokraten und Staatssicherheit freilich kaum einer aus der internationalen Gemeinde der Dixieländer. Die Sessions liefen ab, wie es bei Jazz-Musikern üblich ist – spontan und stimmungs-abhängig.

1983 13idfGage in Mark der DDR

Bezahlt wurden die Jazz-Musiker aus dem Westen übrigens in Mark der DDR. Dazu bekamen sie, gewissermaßen als Wertausgleich, noch ein Instrument aus DDR-Produktion – eine Gitarre aus Markneukirchen etwa oder ein Service aus der Meißner Porzellanmanufaktur. Gekommen sind sie trotzdem alle gern. Schließlich wollte jeder in Dresden dabei sein. Hunderte Bewerbungen um Auftritte gingen bei den Organisatoren ein.

Das Jahr 1989. Ist es sicher, dass uns das Festival erhalten bleibt?

Die DDR öffnete ihre Grenzen. Das glich einer Weltsensation. Aber noch blieb völlig offen, in welche Richtung die Entwicklung weiterlaufen würde, sie überstürzte sich in den kommenden Wochen und Monaten. Auch das INTERNATIONALE DIXIELAND FESTIVAL blieb davon nicht unberührt. Schlaflose Nächte, Grübeleien, Alpträume - wie geht es weiter mit dem Sender Stimme der DDR, was wird aus dem Dresdner Kulturpalast?

Da hatte man doch so etwas gehört, das es im Westen so etwas wie Sponsoren gibt, Firmen die auch Kulturveranstaltungen unterstützen. Also Anruf nach Hamburg zu Klaus Albrecht, einem langjährigen Freund und Unterstützer des Dresdner Festivals, der uns seit Jahren Informationen zu internationalen Bands gab. Eine wichtige Quelle des Festivals, da „Die Macher des Festivals” Erich Knebel und Joachim Schlese keine „sogenannten Reisekader” waren und damit das westliche Ausland nicht besuchen durften.
Mit der Öffnung der Grenzen war nun alles anders. Anruf an Klaus Albrecht, die Situation geschildert und um Beistand gebeten. Klaus: „Kommt her, ich organisiere etwas, ihr könnt kostenlos bei mir wohnen und zu essen habe ich auch – ihr seid meine Gäste!”. „Übrigens”, so Klaus weiter, „in den nächsten Tagen findet in Hamburg die INTERNORGA, eine der größten Nahrungs- und Genussmittel-Messen statt, auf der alles vertreten ist was Rang und Namen hat.”

Wir waren uns schnell einig. Für eine Einreise in die BRD erhielten wir 15.00 Ostmark in 15.00 Westmark umgetauscht und so ging es dann nach Hamburg. Ausgestattet mit viel Bildmaterial, mit „Amiga”-LP’s vom Festival und sonstigen Materialien.
Am ersten Tag setzte uns Klaus an der INTERNORGA ab, damit wir dort den Firmen entsprechende Werbemöglichkeiten in und um das Festival anbieten konnten. Der erste Stand, der uns interessierte war der von „Schöller Eis”. Ein netter Herr im feinsten Zwirn war sehr aufgeschlossen, als wir uns als Dresdner vorstellten. Seine erste Frage: „Haben sie schon einmal Schöller-Eis gegessen?” Woher denn? Wir als Dresdner kannten ja nur unser gutes Haselbauer. Nach dem Genuss von Schöller-Eis und einigen wagen Versprechungen, erhielten wir die Zusage für eine Unterstützung des Festivals.
Und weiter ging es. So kämpften wir uns bis zu einem Stand, an dem wir lesen konnten: „Mit Krombacher wird Jazz noch schöner”. Vertreter der Krombacher Brauerei staunten nicht schlecht, als wir und als Dresdner vorstellten. Wir kamen uns vor wie EXOTEN! So luden uns die verantwortlichen Vertreter der Brauerei am nächsten Tag zu einem Empfang auf dem historischen Museumsschiff „Cap San Diego” ein.

Trotz vieler vorgelegter Dokumente wollte man es uns einfach nicht glauben, dass es in der von uns vorgetragenen Größenordnung ein Jazzfestival, in Verbindung mit einem großen Volksfest in der sozialistischen DDR gibt. Doch bei einigen Gesprächspartnern hatten wir das Gefühl, dass es sich doch vielleicht um ein lukratives Geschäft für die Zukunft handeln könnte, bei den „Ausgehungerten aus dem Osten” hinter dem bereits löchrigen Vorhang. Schließlich traten wir mit einer kleinen Garantiesumme in „West” von über 10.000 D-Mark die Heimreise an!

Unsere Gedanken kreisten. Was und wie fangen wir mit diesem Geld an? Auf dem Schwarzmarkt in Westberlin stand der Kurs 1:100, das wären immerhin ca. 100.000 Mark Ost. Keine schlechte Grundlage für das Festival, natürlich nur, wenn wir den Gesamtumfang etwas zurückfahren und uns die Dresdner Dixieland Freunde der Vorjahre die Treue halten, was bekanntlich dann auch eintraf.

parade02Die Rettung des Festivals

Wenn man zurückblickt, gab es in der Festivalgeschichte immer auch schwierige Momente. Selbst die Wende, die so vieles an freien Möglichkeiten gebracht hatte, hat sich in der Anfangsphase als problematisch für unser Festival erwiesen. Es gab zwar keine politischen Stolpersteine mehr, aber ökonomische.
1990 waren die Grenzen offen. Die Reisemöglichkeiten konnten genutzt werden. Was war im Augenblick wichtiger, ein Jazzkonzert zu besuchen, oder das offene Europa kennen zu lernen?
So kam es, dass zum 20. Internationales Dixieland Festival nicht ein einziges Konzert ausverkauft war. Ein Umstand der ein Jahr vorher nicht denkbar gewesen wäre. Wie war das Festival überhaupt zu retten?
Da kam Joachim Schlese auf die Idee, einen Verein zu gründen, die Sächsische Festival Vereinigung e.V. Ihm war klar, je bedeutender der wirtschaftliche Fortschritt wurde, umso größer wurde auch der Stellenwert für die schönen Dinge des Lebens.

Am 18. Mai trafen sich neun in Verantwortung führende Freunde des Oldtime-Jazz, um mit der Sächsischen Festival Vereinigung einen Verein ins Leben zu rufen, der zur Erhaltung, Förderung und Entwicklung des Festivals beitragen sollte.
Heute sind über 150 Mitstreiter glücklich, in den vergangenen über 40 Jahren ein musikalisch-künstlerisch anspruchsvolles und weitgehend erfolgreiches Festival realisiert zu haben. Freudige Menschenmassen, begeisterte Musikhörer, bewegte Musikanten und ein breites Medienecho sind Belege dafür.

Das Erfolgsrezept: Viele aktive Mitstreiter, die ihre Freizeit für unsere hochgesteckten Ziele opfern.